Auf dieser Seite werden in loser Folge Beiträge veröffentlicht, die sich aus dem aktuellen Ereignissen ergeben und
im Zusammehang mit Störlichtbögen stehen.
Einwirkenergie - Was ist das?
Bewertung von PSA unter Lichtbogeneinwirkung.
I. Vorbemerkung
Störlichtbögen in Niederspannungsanlagen sind seltene Ereignisse. Treten sie auf, sind möglicherweise Personen an den Anlagen anwesend und unter Umständen erleiden diese Personen starke Verletzungen, auch Todesfälle sind bekannt. Es soll in diesem Beitrag nicht um Ursachen und Verantwortlichkeit dieser tragischen Ereignisse gehen, sondern es soll der Versuch unternommen werden ein wenig Klarheit über die möglichen physikalischen Größen der Personenbeanspruchung und deren reale Schutzmöglichkeit zu geben. Vorbemerkt sei auch, dass es eine ethische und in den gesetzlichen Bestimmungen sowie den Arbeitsschutzvorschriften eindeutig festgeschriebene Selbstverständlichkeit ist, das bei der professionellen Tätigkeit an und in elektrischen Anlagen die Unverletzbarkeit der Person im Vordergrund steht. Die Unverletztheit ist aber immer ganzheitlich gegenüber allen physikalischen und physischen Einwirkfaktoren zu betrachten. Ferner gilt das Prinzip, erst technische Maßnahmen, dann Organisatorische und wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind im Grenzfall Tätigkeiten unter Anwendung von persönlichen Schutzausrüstungen. Bei der Bewertung dieser Tätigkeiten sollten ökonomische Faktoren immer im Hintergrund verbleiben. Der Stand der Technik erlaubt das im Prinzip durch technische Ausrüstungen und Maßnahmen keine Tätigkeiten in der Nähe oder unter Spannung durchgeführt werden müssen. Vorausgesetzt, man hält seine Anlage auf den Stand der Technik. Bereits 1880 sagte Werner von Siemens:
„Das Verhüten von Unfällen darf nicht als eine Vorschrift des Gesetzes aufgefasst werden,
sondern als Gebot menschlicher Verpflichtung und wirtschaftlicher Vernunft“
II. Störlichtbogen
Ein Störlichtbogen ist ein Lichtbogenkurzschluss der als zufällig entstandener Strompfad zwischen zwei oder mehr leitfähigen Teilen entsteht und die elektrischen Potentialdifferenzen zwischen diesen leitfähigen Teilen auf einen Wert der Lichtbogenspannung bringt Lichtbogenspannung ist eine nichtsinusförmige Spannung von stochastischer Größe, die beeinflusst wird von Material- und Umgebungsbedingungen sowie den Stromkreisparametern. Aus dem Produkt der einzelnen Lichtbogenspannungen und dem durch die Lichtbogenimpedanz beeinflussten zugeordnetem Lichtbogenstrom ergibt sich die Summe der Gesamtlichtbogenleistung. Zu beachten sind dabei mögliche Teillichtbögen zu den geerdeten oder nicht geerdeten Potentialen. Dies ist eine allgemeingültige Definition für den Störlichtbogen und gilt für alle Spannungsebenen und Netzsysteme. Weiterführende Literatur und grundsätzliche Betrachtungen zu der Physik der elektrischen Entladung sind besonders in den Büchern „Plasma und Lichtbogen“ von W. Rieder [1] und in den 3 Bänden „Elektrische Entladung in Natur und Technik“ von D. Amft und F. Berger [2] zu finden.
Für das Verständnis der Abläufe einer Lichtbogenzündung und Lichtbogenbewegung soll in den folgenden Bildern allgemeinverständlich der Wirkmechanismus der Lichtbogenzündung und Lichtbogenbewegung dargestellt werden. Daraus ist im Prinzip die Wirkung der Lichtbogenbeanspruchung auf die Umgebung zu erkennen. In den Bild 1 wird an einer dreipoligen Modell-Sammelschienenanordnung ein Draht durch das Zuschalten des Stromes geschmolzen. Mit dem Schmelzvorgang wird die Umgebung der Drähte mit Metalldampf angereichert. Der metallische Leiter löst sich auf und der Strom fließt nun über eine elektrische Entladung in der Metall-Gaswolke. Es bilden sich an den Schienen-Austrittsstellen des Stromes Lichtbogenfußpunkte, die über die entstehenden Plasmastrahlen die Potentialstrecke aufheizt und ionisiertes Gas in Lichtbogenraum treibt und somit den Stromfluss aufrecht hält. Die Plasmastrahlen können im Prinzip als stromdurchflossene Leiter betrachtet werden und bilden, wie jeder stromdurchflossener Leiter ein Eigenmagnetfeld. Gemäß der „Lenzsche Regel“ oder auch „Rechte-Hand-Regel“ genannt, entsteht eine Kraftkomponente zwischen der Leiterschiene und dem Plasmastrahl, die den beweglichen Plasmastrahl auf der Schiene beschleunigt. Dabei wird der Plasmastrahl grundsätzlich von der Energiequelle wegbewegt. Damit ist die Ursache der Lichtbogenbewegung erkennbar. Die ermittelten Wanderungsgeschwindigkeiten liegen in Abhängigkeit von den geometrischen und Strom-Parametern im Bereich von einigen m/s bis zu 500 m/s. Im Bild 1 und 2 wird das als sehr vereinfachtes Prinzip dargestellt.
Bild 1und 2: Sammelschienenmodell mit Lichtbogenzündung und Lichtbogenwanderung
Im realen Fall eines Drehstromlichtbogens liegt aber ein wesentlich komplizierteres System vor. Einblicke in diese Komplexität gewähren die Videos „Lichtbogen-Karussell“ in der Internetseite (Video1) und das Hochgeschwindigskeits-Video, mit der sehr detaillierten Sicht auf einen offenen Niederspannungs-Lichtbogen. (Video 2). Ein weiteres Hochgeschwindigkeits-Video zeigt die Drehstrom-Lichtbogen Beanspruchung von gleichen Stoffproben für die Entwicklung von persönlichen Schutzausrüstungen (PSA) unter Einwirkung eines 7 kA und 10 kA Drehstrom-Lichtbogens (Video 3). Deutlich ist in diesem Video der Unterschied die Intensität der Beanspruchung der Stoffproben bei 7 und 10 kA erkennbar. Nicht nur die Intensität wird sichtbar, auch die Art der Beanspruchung und die Reaktion des Stoffes ist erkennbar. Das Video 2, ein direkter Blick in die IPH-Prüfanordnung, Position B [5] mit drei Kupferschienen 50x10 mm und einem Abstand von 30 mm, zeigt mit sehr hoher zeitlicher Auflösung das Verhalten der Plasmastrahlen. Die zwischen zwei Potentialen sich bildenden Plasmastrahlen erreichen bei einem Kurzschlussstrom von 7 kA jeweils eine Länge von bis zu 30 cm von den Spitzen der Kupferschienen gemessen. Im Video 3, mit nur 1/10 der Aufnahmegeschwindigkeit gegenüber dem Video 2, erscheinen diese Plasmastrahlen alle 2 bis 4 ms als heiße Gaswolken, die mit einem gerichteten Druckimpuls verbunden sind. Die Temperatur in der Spitze der Gaswolken erreicht bei einem Kurzschlussstrom von 7 kA einen Wert von 1000 - 2000K, der Druckimpuls dabei Werte im Bereich von 5 bis 10 kPa. Messwerte bei 10 kA und höher liegen nicht vor. In der Arbeit von Finke [3] mit der gleichen Prüfanordnung, aber mit Kunststoffplatten statt Stoff, wurden Druckspitzen bis zu 90 kPa erreicht. Zu beachten sind auch die thermisch-chemischen Auslösungen aus dem Prüfstoff und deren Entzündung.
Bild 3und 4: Ausschnitte aus dem Video 3 nach jeweils 120 ms Einwirkzeit
Bilder und Videos sind plakative Medien. Sie können einen Eindruck vermitteln, geben aber die komplexe Realität nicht wieder, zumal sie nur den Wirkmechanismus aufzeigen können, wenn die richtige Bildauflösung vorliegt. Die komplexe Wirkenergie auf das Objekt kann so nicht ermittelt werden. Auch Livebetrachtungen aus sicherer Distanz können nur ein reduziertes Spektrum der Lichtbogenbeanspruchung vermitteln, obwohl sie unter Umständen sehr spektakulär auf den Betrachter wirken.
III. Lichtbogenleistung
Um der tatsächlichen Einwirkenergie bei Störlichtbögen im Drehstromnetz näher zu kommen, muss über Lichtbogenleistung und deren Wirkmechanismus im realen Störungsfall Klarheit vorliegen. Oben wurde bereits erwähnt, dass die Lichtbogenspannung eine nicht sinusförmige Spannung ist. Aus den Videos ist die Dynamik der Bewegung des Lichtbogens deutlich erkennbar. Auch ist zu sehen, dass die Lichtbogenlänge nicht direkt mit dem Abstand der Stromschienen verbunden ist. Umfangreiche Grundsatzuntersuchungen in den siebziger Jahren an offenen Schienenanordnungen zeigen auch eine deutliche Unabhängigkeit der Lichtbogenspannung von dem Luftstrecken zwischen den Potentialschienen. Die Bilder 5 und 6 zeigen zwei Beispiele von Silhouetten-Aufnahmen dieser Versuche. Vorhandene 35 mm Zeitlupenfilme der damaligen Versuche mit einer Auflösung von 1000 bis 8000 Bilder/s zeigen diese Fakten wesentlich deutlicher.
Entscheidend für die Höhe der Lichtbogenspannung ist immer der Raum, in dem sich der Lichtbogen aufweiten kann. In dem (Video 4), eine neuere High-Speed-Videoaufnehme, wird die aus den Silhouetten interpretierbare Schleifenbildung der Lichtbogensäulen sehr deutlich sichtbar.
Bild 5und 6: Silhouetten-Aufnahmen von offenen Schienenanordnungen.
Die Lichtbogenlänge ist aber wiederum ein Maß für die Lichtbogenspannung, da der Lichtbogenkanal im Prinzip einen realen Widerstand im Lichtbogenkurzschlusskreis darstellt. Aus dem (Video 2). ist zu entnehmen, dass besonders an den Schienenenden eine sehr stochastische Längenverteilung des Lichtbogenkanals vorliegt. Zu beachten ist an diesem Video, das durch die extrem kurze Belichtungszeit nur die Plasmastrahlen deutlich erkennbar sind und der vollständige Lichtbogenkanal nur einige Male sehr kurzzeitig, aber deutlich erscheint. Ursache ist die sehr unterschiedliche Temperaturverteilung und Stromdichte in diesen Medien. Die Plasmastrahlen mit einer Temperatur im Bereich bis zu 20000 K übertragen den Strom auf eine großflächigere Gaswolke mit einer Temperatur im Bereich von 1000 bis 3000 K. Damit verbunden sind auch sehr unterschiedliche Leuchteffekte. Besser sind die Lichtbogenkanäle mit der Schleifenbildung im (Video 4) erkennbar.
Zum Verständnis der real auftretenden Lichtbogenleistung soll an Hand eines praktischen Versuches mit Hilfe eines Videos und der Darstellungen der Strom- und Spannungsverläufe die elektrischen Vorgänge näher erklärt werden. Die Aussagen sind mit einer Vielzahl von Versuchen mit unterschiedlichen Strömen sowohl im 400 V Bereich als auch im 550 V und 690 V Spannungsbereich belegt. Im Bild 7 ist der IPH-Testaufbau wiedergegeben. Zunächst soll nur die Lichtbogenleistung erläutert werden. Das (Video 5) zeigt den konkreten Versuchsablauf mit einer 150fachen Zeitraffung.
Bild 7: Testaufbau zur Herleitung der Lichtbogenleistung und Einwirkenergie
Bild 8: Lichtbogen-Spannungsverlauf Leiter-Leiter IPH-Test 2042907
Die bei dem Test anliegende Leiter-Leiter-Spannung beträgt 400 V, was einem Scheitelwert von 565 V bedeutet. In den ersten 10-25 ms, dem Zeitabschnitt, wo der eingelegte Zünddraht schmilzt und der Lichtbogen sich ausbildet, ist der Betrag der Lichtbogenspannungs-Amplituden in allen Außenleitern unterhalb des Scheitelwertes der eingestellten Prüfspannung. Mit der Aufweitung des Lichtbogens treten Instabilitäten im Stromfluss, verbunden mit Stromabrissen außerhalb des Bereiches des Stromnulldurchganges, auf. Durch diese Stromabrisse in einem mit Induktivitäten behafteten Stromkreis (Leistungsfaktor 0,4) entstehen Überspannungen, welche eine erneute Zündung der Lichtbögen zur Folge haben. Auch der häufige Wechsel von einen dreipoligen auf zwei- oder einpolige Lichtbögen haben Spannungsverlagerungen zur Folge. Im (Video 2). sind diese Wechsel der drei- zwei- oder einpoligen Lichtbögen mit ihrer Instabilität gut erkennbar. Die Verlängerung der Lichtbögen haben neben den erhöhten Spannungsabfall, der ja im Prinzip mit der Erhöhung des Lichtbogenwiderstandes verbunden ist, auch einen Einfluss auf den Stromkreis. Der sich durch die Aufweitung und Wiederzündung ständig ändernde Lichtbogenwiderstand liegt im Wertebereich der
Bild 9: Lichtbogen-Stromverlauf Leiter-Leiter IPH-Test 2042907
Impedanz des Kurzschlusskreises. Mit diesen Änderungen werden die Amplituden- und Phasenwerte der Ströme geändert. Berechnet man aus den digital aufgezeichneten einzelnen Spannungs- und Stromwerten punktuell die Lichtbogenleistung ergibt sich der gesamt Lichtbogen-Leistungsverlauf. (Bild 10) Rein statistisch beträgt der Mittelwert der Lichtbogenleistung von 1692 kW. Der Spitzenwert im Bereich des roten Pfeiles liegt aber bei 4700 kW. Dieser Bereich soll mit einer zeitlich höheren Auflösung der Oszillogramme weiter betrachtet werden.
Bild 10: gesamt Lichtbogen-Leistungsverlauf IPH-Test 2042907
In den Bildern 11 bis 13 sind die Verläufe Lichtbogenspannung, des Stromes und der Gesamtlichtbogenleistung in dem gewählten Zeitbereich von 50 ms wiedergegeben. Sehr klar sind die Instabilitäten der elektrischen Verläufe, durch die auch in den Videos erkennbare Dynamik der Lichtbogenbeweg, zu sehen. Im Bild 12 wird besonders auf die ständige Änderung der Phasenwinkel
Bild 11: Lichtbogen-Spannungsverlauf Leiter-Leiter, Zeitbereich 0,2 bis 0,25 s, IPH-Test 2042907
Bild 12: Lichtbogen-Stromverlauf Leiter-Leiter, Zeitbereich 0,2 bis 0,25 s, IPH-Test 2042907
Bild 13: Lichtbogen-Leistungsverlauf Leiter-Leiter, Zeitbereich 0,20 bis 0,25 s, IPH-Test 2042907
der Ströme verwiesen. Die farblich gekennzeichneten, punktierten Doppelpfeile zeigen den Zeitbereich von 10 ms, also die Zeit einer 50 Hz-Halbwelle an. Die farblichen Strichlinien die jeweiligen tatsächlichen Stromnulldurchgänge der einzelnen Phasen. Eindeutig ist erkennbar, dass neben der Amplitudenänderung auch die Phasenlage, und somit auch der zeitliche Stromnulldurchgang der Stromhalbwellen verändert wird. Mit diesen elektrotechnischen Fakten kann hergeleitet werden, das eine einfache Berechnung der Lichtbogenleistung nach den elementaren Formeln der Leistungsberechnung für Drehstromleistung kein sicheres Abbild der tatsächlich auftretenden Lichtbogenleistung im Falle eines offenen Störlichtbogens in dem Niederspannungsbereich darstellt. Klar herausgestellt werden muss an dieser Stelle, dass diese spezielle Aussage nur für den nach Außen offenen Lichtbogen, also dem Fall einer Lichtbogenstörung in Anwesenheit einer Person an einer offenen unter Spannung stehenden Niederspannung Anlage, gilt. Für Störlichtbögen in geschlossenen Anlagen, wo zum Beispiel der Lichtbogen raumbedingt sich nicht mehr als auf das 1,5fache des Polmittenabstandes der Außenleiter aufweiten kann, liegt hinsichtlich der Spannungs- und Strombeeinflussung eine andere Situation vor. Sichere statistische Aussagen sind dazu aber auch nicht möglich, wie die Auswertung von zahlreichen realen Lichtbogenprüfungen im Prüffeld zeigten. Ursache ist die Vielfältigkeit der Leitungsführung in Verbindung mit der hohen Wanderungsgeschwindigkeit des Lichtbogens in diesen Anlagen. Kann sich der Lichtbogen aber auch in geschlossenen Anlagen aufweiten, treten dort ähnliche Vorgänge wie oben beschrieben auf. Beispiel dafür sind in der Arbeit Finke [3] und in dem Bild 14, einer Versuchsbox zur Ermittlung von Druckbeanspruchungen in kleinräumigen NS-Anlagen, zu sehen. In der Box traten im Frontbereich Druckspitzen auf, die zur partiellen Zerstörung des Blechgehäuses bei einem Kurzschlussstrom von 12 kA im vorderen Bereich führten, die eindeutig auf die registrierten Lichtbogenleistungsspitzen zurückzuführen waren. Im Bild 14 ist aus eigenen Untersuchungen aus dem Jahr 1982 ein Test an einer Versuchsbox mit 10 kA dargestellt. Das Druckoszillogramm im Bild 14 ist eine Rekonstruktion eines Plottbildes, da zum Zeitpunkt der Versuche im Jahr 1982 keine ausreichende und hochauflösende Digitaltechnik zu Verfügung stand.
Bild 14: Test-Box zur Ermittlung von Druckbeanspruchung in NS-Anlagen
Der häufig anzutreffenden Argumentation, es ist alles nicht so schlimm und völlig ausreichend mit einfachen Mittelwerten zu rechnen, soll in der weiteren Vertiefung in die elektrischen Abläufe der vorher ausgewerteten Oszillogramme, ein weiterer Fakt für die Lichtbogenleistung vorgestellt werden. In den Bildern 10 bis 13 ist die auftretende Lichtbogenleistungs-Spitze mit einem roten Pfeil markiert. Eine weitere Zeitdehnung dieser elektrischen Vorgänge in den Oszillogrammen zeigen die folgenden Bilder:
Bild 15, 16 und 17 : zeitlich gedehnter Ausschnitt aus den Bildern 11 bis 13, IPH-Test 2042907
Dargestellt ist für die Kurvenverläufe ein Zeitbereich von 1ms um den Punkt des roten Pfeiles. Im Bild 12, dem Spannungsverlauf, ist zu erkennen, dass die Spannung L2-L3 (blaue Kurve) durch eine Verlagerung des Spannungssystems ein Scheitelwert von 625 V erreicht. Das bedeutet, 625 /√2/400=1,1, also eine 1,1fache Verlagerung des Spannungssystems durch die unterschiedlichen Existenz-Phasen der Lichtbögen. Keine besondere Abweichung vom Normalsystem. Entscheidend ist aber in diesem Augenblick der Stromwert L2-L3, Bild16 blaue Kurve. Aus dem Produkt des Augenblickswertes der Spannung von 625V und des Stromwertes von 6855 A ergibt sich für die Lichtbogenleistung L2-L3 in diesem Punkt ein Impulswert von 4284 kW. Synchronisiert man die Bildfolge der Hochgeschwindigskeits-Videos mit den Oszillogrammen, erhält man Situationen wie sie in den Bildern 3 und 4 und den oben genannten Videos zu erkennen sind. Das bedeutet, dass bei einem offenen Drehstromlichtbogen durch die statistische Streuung der Lichtbogenexistenz und deren Parameter Leistungsimpulse mit einer hohen Energiedichte auftreten. Diese Lichtbogen-Leistungsimpulse treten als Gasimpulse in Verbindung mit einer Temperatur im Bereich von 1500 bis 2500 K und einem bisher nicht exakt ermittelten Druck auf. Der Wirkmechanismus ist in den Bildern und Videos deutlich erkennbar. Die Schwierigkeit zur exakten Bestimmung der Parameter besteht darin, dass man für diese schnellen Temperatur- und Druckimpulse in dem Umfeld der Lichtbogeneinwirkung kein geeignete Mess-Sensoren zur Verfügung stehen.
IV. Einwirkzeit
Neben der Größe Lichtbogenleistung ist die Einwirkzeit eines Lichtbogens für die Einwirkenergie eine weitere entscheidende Größe. Bestimmend für die Einwirkzeit sind die dem Lichtbogenort vorgeordneten Schutzorgane. Dabei muss zwischen drei wesentlichen Gruppen der Schutzorgane unterschieden werden.
1. Leistungsschalter
2. Sicherungen
3. Lichtbogenschutzgeräte
IV.1 Leistungsschalter
Für Leistungsschalter gelten nach VDE 0660 Teil 101 zwei Gebrauchskategorien.
Gebrauchskategorie A: Allgemein als strombegrenzende Leistungsschalter bezeichnet, Schalter
die nicht besonders für Selektivität unter Kurzschlussbedingungen
ausgelegt sind.
Gebrauchskategorie B: Allgemein als offene Leistungsschalter bezeichnet. Schalter die
besonders für Selektivität unter Kurzschlussbedingungen ausgelegt
sind.
Für Leistungsschalter beider Gebrauchskategorien gelten die Festlegungen zum Bemessungsstrom, dem gewählten und eingestellten Überstrombereich und dem Kurzschlussausschaltvermögen in Verbindung der gewählten und eingestellten Werten der Auslösecharakteristik der Kurzschlussauslöser. Wichtig und entscheidend für die Einwirkzeit unter Lichtbogenbeanspruchung ist Absenkung des Lichtbogenkurzschlussstromes IkLB gegenüber dem berechneten metallischen Kurzschlusswert IkII Die klassische Einstellung in Niederspannungsanlagen für den Kurzschlussschutz liegt bei 60-70 % des Kurzschlusswertes vor Ort. Da aber der Lichtbogenkurzschlussstrom in Abhängigkeit vom Brennort, den Netzbedingungen und Materialeigenschaften sowie der Ausbreitungsmöglichkeit einen Streuwert von 35 bis 75 % des Kurzschlussstromes IkII erreichen kann, ist eine eindeutige Vorhersage der Einwirkzeit mit Leistungsschalter sehr kritisch. Aus der Statistik von 90 gleichen Lichtbogenversuchen mit identischem Aufbau, Material und einer gleichen Kurzschlussstromeinstellung von 10 kA ist zum Beispiel ein Mittelwert des Lichtbogenstromes im Bereich von 5,1 bis 7,2 kA gemessen worden. Bei den Grundsatzuntersuchungen zum Verhalten des Niederspannungs-Störlichtbogens, wie sie in den Bildern 5 und 6 gezeigt wurden, ergab sich bei den 178 durchgeführten Versuchen im Strombereich von 3 bis 65 kA und gleichen konstruktiven Abmessungen eine Streuung im Bereich von 35 bis 75 % des eingestellten Kurzschlusswertes.
IV.2 Sicherungen
Prinzipiell gelten für die Bemessungsdaten der Sicherungen grundsätzlich dieselben Aussagen wie für die Leistungsschalter. Zwei Unterschiede sind für die NH-Sicherungen aber zu beachten. Erstens sind die Kennlinien feste Größen und nicht einstellbar und zweitens gelten die Kennlinien für den einpoligen Betrieb der Sicherungen. Alle nach VDE 0636 geprüften Daten sind auf einen einpoligen Prüfkreis bezogen. Der Einsatz der Sicherungen erfolgt aber im überwiegenden Fall in Drehstromkreisen und zusätzlich noch ohne dreipolige Zwangsabschaltung im Fehlerfall. Damit ergeben sich für die Ermittlung der Einwirkzeit sehr variable Größen. In den Bildern 18 und 19 werden die Oszillogramme der
Bild 18 und 19: Abschaltung gleicher NH-Sicherungen mit unterschiedlicher Zuschaltung
Abschaltung gleicher 400-A-NH-Sicherungen unter Lichtbogenbedingung bei unterschiedlicher Zeitpunkte der Einleitung des Kurzschlusses wiedergegeben. Deutlich ist der Unterschied der Schaltzeit ta bei diesen Schaltungen zu ersehen. Im Bild 18 wird durch die synchrone Zuschaltung aller drei Pole und dem maximalen Stoßstrom im Pol 2 der aus der Sicherungskennlinie ersichtliche Wert ta erreicht. Erfolgt die Zuschaltung des Kurzschlusses im Störungsfall nach einer stochastischen Polfolge (Bild 19), ergibt sich für ta ein von der Kennlinie abweichender Wert. Grundsätzlich ist die Bewertung der aus der einpoligen Kennlinie ermittelte Zeit ta für die Einwirkzeit im Drehstromsystem nicht relevant. Im Drehstromkreis geht nach der Löschung des ersten Poles das System in einem 2poligen Wechselstromkreis über, was mit einer Reduzierung des Stromes auf den 0,87 Wert führt. [4]. Damit erweitert sich die Gesamtausschaltzeit erheblich. Im Bild 20 ist dieser dreipolige Abschaltvorgang im Kurzschlussbereich noch einmal detailliert dargestellt. Zum Zeitpunkt des grünen Cursors wird der Strom synchron in allen drei Polen zugeschaltet. Nach einem ta von 2,7 ms (roter Cursor) wird der Stromanstieg durch das schmelzen des Sicherungsleiters im Pol L1 unterbrochen und verlischt in nächsten Stromnulldurchgang endgültig (roter Strich-Strich Cursor). Die gesamte Stromflussdauer im Pol L1 beträgt somit 5 ms. Im Zeitbereich zwischen den roten Cursors besteht ein unsymmetrisch belastetes Drehstromsystem, verbunden mit einer Spannungsverlagerung und zusätzlicher Überspannung im Pol L1. Im Lichtbogenfall ergibt dieser Vorgang eine Lichtbogenleistungsspitze wie sie in den Bildern 18 und 19 zu sehen sind. Mit dem endgültigen Abschalten des Stromes L1 bildet sich dann ein Wechselstromkreis zwischen den Polen L2 und L3 aus, mit der folgenden Unterbrechung des Stromanstieges in diesen Polen zum Zeitpunkt des blauen Cursors, sowie der endgültigen Stromabschaltung in den Polen L2 und L3 nach insgesamt 13,2 ms. Mit dem abklingenden Strom in den Polen L2 und L3 ist verbunden eine sich ausbildende Überspannung, die im Lichtbogenfall eine weiter Lichtbogenleistungsspitze bildet.
Bild 20: Beispiel einer dreipoligen synchronen Zuschaltung einer 630-A-NH-Sicherung bei 50 kA
Im Bild 21 ist ein Auszug aus einer dreipoligen Abschaltung einer 63-A-NH-Sicherung im Überstrombereich dargestellt. Auch hier ist eindeutig erkennbar, dass die triviale Anwendung der einpoligen Sicherungskennlinie zur Ermittlung der Einwirkzeit im Falle einer Lichtbogenstörung zu falschen Ergebnissen und somit einer unzulässigen Personengefährdung führt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die einpolige Sicherungskennlinie grundsätzlich für einen sinusförmigen Strom gilt. Der Lichtbogenkurzschlussstrom ist aber wie oben gezeigt eindeutig nicht sinusförmig. Die praktischen Auswirkungen einer Lichtbogenstörung mit NH-Sicherungen sind als ein Beispiel von vielen im dem von YouTube bereitgestellten (Video 6) aus dem öffentlichen Straßenbereich Berlins zu sehen.
Bild 21: Beispiel einer dreipoligen Abschaltung im Überstrombereich.
Bei dem Einsatz von HH-Sicherungen in Verbindung mit dreipoligen Lastschalter auf der Hochspannungsseite und dem Verzicht von Leistungsschalter auf der Niederspannungsseite von Transformatorenstationen ergeben sich ebenfalls grundsätzliche Probleme bei der Ermittlung der Einwirkzeit im Falle einer Lichtbogenstörung auf der Niederspannungsseite. HH-Sicherungen im Einsatz als Transformatorenschutz sind Teilbereichssicherungen gemäß IEC 60282-1 (VDE 0670-4 bzw. DIN EN 60282-1). Teilbereichssicherungen haben einen Bemessungswert Mindestausschaltstrom (I3), ab welchem die Sicherungen in der Lage ist, den Strom zu unterbrechen. Bei Betrieb unterhalb I3 können Teilbereichssicherungen nicht schalten. Wichtig für die Dimensionierung der HH-Sicherung ist der Einschaltstrom des zu schützenden Transformators. Der Einschaltstrom eines Transformators kann den 6 bis 20fachen Wert des Bemessungsstromes des Transformators über eine Zeit bis zu 100 ms erreichen. Die HH-Sicherung darf in diesem Zeitbereich nicht auslösen.
Betrachtet man den klassischen Betrieb eines 24 kV, 630-kVA-Transformator im allgemeinem städtischen Einsatz mit einem HH-Sicherungs-Lastschalter auf der Oberspannungsseite und einem Lastschalter als Trennorgan auf der mit NH-Sicherungen bestückten Niederspannungsverteilung unter der Bedingung eines Störlichtbogens in der NS-Verteilung, ergeben sich für die Ermittlung der Einwirkzeit kritische Situationen.
Ein 630 KVA-24-kV-Transformator hat einen Bemessungsstrom von 15 A auf der Oberspannungsseite und 909 A auf der Unterspannungsseite. Bei einer Kurzschlussspannung von 4% ergibt sich ein maximaler Klemmen-Kurzschussstrom auf der 400-V-Seite von 22 kA, und bei uk von 6% ein Wert von 15 kA. Beachtet man die Netzimpedanzen, reduzieren sich die Wert im Durchschnitt auf 18 kA und 13 kA. Umgerechnet auf die 24-kV-Seite sind das dann Ströme von 300 A bzw. 216 A im Falle eines metallischen Kurzschlussstromes. Im Falle einer Lichtbogenstörung auf der 400-V-Seite reduziert sich dieser Strom um ca. 50 % auf 150 A bzw. 65 A. Typischerweise werden für diese Transformatoren auf der 24-kV-Seite folgende HH-Sicherungen eingesetzt:
HH-Sicherung 31,5 A I3 = 110 A
HH-Sicherung 40 A I3 = 140 A
HH-Sicherung 50 A I3 = 170 A
Bild 22: Kennlinienfeld der HH-Teilbereichssicherungen.
Gesamtausschaltzeit tag ergibt sich dann aus der ta der Kennlinie plus der Ausschaltzeit des Lasttrennschalters, der je nach Typ im Bereich von 200 bis 500 ms liegt. Aus den vorliegenden Daten und den Bildern 23 bis 25 ist zu ersehen, dass Einwirkzeiten dieser Schutzvariante für einen Personenschutz bei Lichtbogenstörungen sowie das gesamte Schutzprinzip undiskutabel sind.
Bild 23, 24 und 25: typische Störungsbilder bei Schutz durch HH-Sicherungen und Einwirkzeiten > 20 s
IV.3 Lichtbogenschutzgeräte
Lichtbogenschutzgeräte sind Schaltgeräte, die in Verbindung mit Sensoren einen Störlichtbogen erkennen und eliminieren. Dabei sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Der häufigste Anwendungsfall in der Anlagentechnik ist das Prinzip, nach Erkennung des Lichtbogens durch die Sensorik die Einleitung eines Kurzschlusses innerhalb weniger ms, im Sprachgebrauch werden sie als Lichtbogenlöschgeräte bezeichnet. Der eingeleitete Kurzschluss wird dann über den vorgeordneten Leistungsschalter abgeschaltet. Die Lichtbogeneinwirkzeit liegt bei diesen Geräten immer unter 5 ms, die Kurzschlussstromtragfähigkeit in Abhängigkeit vom Produkt bis zu 150 kA. Auch bei der sehr kurzen Einwirkzeit eines Störlichtbogens muss zum Schutz der Personen ein Gesichtsschutz verwendet werden, da hochbeschleunigte Partikel vom Lichtbogen ausgestoßen werden. Dazu das (Video 7) Im Bild 26 wird die Funktion eines Lichtbogenlöschgerätes in einem Oszillogramm mit einer einpoligen Darstellung erläutert. Der Test erfolgte dreipolig mit einem IkII von 65 kA bei 720 V. Zum Zeitpunkt des roten Cursors erfolgt die dreipolige Zuschaltung. Im Zeitbereich zwischen dem roten und blauen Cursor schmilzt der Zünddraht und es entsteht zum Zeitpunkt des blauen Cursors ein Lichtbogen. Die Sensorik erfasst die starke Stromänderung und die Lichterscheinung des Lichtbogens
Bild 26: einpoliges Beispieloszillogramm einer dreipoligen Schaltung mit einem Lichtbogenlöschgerät
und leitet unverzüglich den Befehl zur Auslösung des Lichtbogenlöschgerätes ein. Mit einer Einschaltzeit von 2 ms wird der Kurzschluss eingeleitet und der Kurzschlussstrom fließt über das Lichtbogenlöschgerät (grüner Stromverlauf). Mit dem eingeleiteten Kurzschluss verlischt der Lichtbogen, da ihm keine treibende Spannung mehr zur Verfügung steht. Als Beispiele für die Funktion dieser Lichtbogenlöschgeräte und auch den möglichen Auswirkungen siehe das (Video 8) und (Video 9).
Die zweite Gruppe, deren Anwendung überwiegend im Installationsbereich liegt, erkennt über die eigene Sensorik einen entstehenden Längs- oder Querlichtbogen und schaltet diesen Endstromkreis innerhalb von 20 ms selbständig ab. Diese Geräte sind als Lichtbogenschutzschalter in Einzel oder Kombination mit Leitungsschutz oder Fehlerstromschutzschalter auf dem Markt und schließen für den Bereich der Endstromkreise eine vorhandene Sicherheitslücke. In Normenbereich werden sie als AFDD bezeichnet.
V. Lichtbogenenergie
IIn den vorangegangenen Abschnitten wurden die mit einem hochauflösenden Transienten-Rekorder aufgezeichneten Größen Spannung, Strom, Leistung und Einwirkzeit im Falle eines realen Störlichtbogens in einem dreipoligen Niederspannungsnetz beschrieben. Im Bild 27 ist die Auswertung der Lichtbogenenergie des IPH Test 2042907 mit einer Gesamtenergie von 559 kWs wiedergegeben.
Bild 27: Lichtbogenenergie berechnet aus den Aufzeichnung der gesamt Lichtbogenleistung Bild 10
In der DGUV Information 203-077, Thermische Gefährdung durch Störlichtbögen, Hilfe bei der Auswahl der persönlichen Schutzausrüstung erfolgt die Berechnung der Lichtbogenenergie nach Schau [9]:
Wendet man diesen Ansatz für den oben ausgewerteten realen Drehstromversuch an, folgt:
S”k=√3*UN*I”k3P =√3*400V*4000A = 2771kVA
WLB =kp *S“k*tk =0,345*2771kVA*0,33s = 315kWs
315 kWs nach Berechnung im Vergleich zu 559 kWs der Messung
Vergleicht man dieses Ergebnis mit den Rechenverfahren aus der DGUV Information 203-077, so ergeben sich sehr erhebliche Differenzen zu den Messwerten in einer realen Netznachbildung. Die Ursache liegt in der nicht nach vollziehbaren Definitionsgleichung für den kp-Faktor und der Fehlinterpretation der nicht sinusförmigen Spannungs- und Stromverläufe in realen Drehstromnetzen.
VI. Einwirkenergie
Es gilt die elementare Grundfrage zu beantworten: welcher Anteil der elektrisch umgesetzten Energie in einem realen Drehstrom-Störlichtbogen kann in Anwesenheit einer Person auf dieser, in welcher Form einwirken und welcher Schutz ist möglich, damit diese Person im Sinne der Arbeits- und Gesundheits-Schutzes unversehrt den Störungsort verlassen kann. Die Frage kann mit keiner Zahl oder Formel sauber und zuverlässig beantwortet werden, da die Einflussfaktoren auf die Existenz und das Verhalten des Störlichtbogens von einer Vielzahl von stochastischen Größen bestimmt werden. Ferner sind die mentalen und physiologischen Eigenschaften der Menschen auch einer breiten Streuung unterworfen.
Ausreichende theoretische Betrachtungen und praktische Untersuchungen zu einzelne Lichtbögen deren Existenz-Bedingungen und deren physikalischen und chemischen Auswirkungen unter bestimmten Bedingungen liegen in ausreichender Form vor und sind besonders in [1] bis [4] beschrieben. Im realen Drehstromlichtbogen in dem Niederspannungsbereich liegen aber besondere Bedingungen vor. In den vorherigen Abschnitten ist ausreichend der Verlauf der Spannungen, Ströme und der sich da aus ergebenen Lichtbogenleistung gezeigt worden. Gleichzeitig ist aus den Videos die Dynamik der Lichtbogenexistenz und der Bewegung mit gerichteten Wirkmechanismus zu erkennen. Jeder Teillichtbogen innerhalb eines Wechselstromsystems durchlebt zwischen den Stromnulldurchgängen die Ionisierung seines Umfeldes, der Zündung, der Bildung von Plasmasäulen und Ausbildung eines oder mehrerer gasförmigen Lichtbogenkanäle sowie einer Löschung kurz vor dem nächsten Nulldurgang oder direkt in ihm. In den Bildern 2 und 3 ist vereinfacht ein Lichtbogen in der Entstehung dargestellt. Wesentlich ist der physikalische Fakt der Kerntemperatur des Plasmastrahles im Bereich zwischen 15 000 und 25 000 K und einem inneren Druck von bis zu 3 bar. Beides ist abhängig vom Grundmaterial und der fließenden Stromstärke. Neben der Erwärmung, Verflüssigung und Verdampfung des Grundmaterials ergeben sich thermische, chemische und physikalische Wechselwirkung der unterschiedlichsten Art mit dem umgebenen Medium und Materials. Einen entscheidenden Einfluss hat ferner das eigenmagnetische Feld auf die Bewegung und Richtung der eigenen Plasmastrahlen und der eigenen Lichtbogensäule. Beeinflusst werden diese eigenen Richtungs-und Bewegungselemente ferner noch durch benachbarten Plasmastrahlen und Lichtbogensäulen sowie der vorgegebenen geometrischen Anordnung der Stromschienen. Durch das vorgegebene dreiphasige Wechselstromsystem ergeben sich ferner zeitlich und räumlich unterschiedliche Kraftkomponenten für die Plasmastrahlen und Lichtbogenschleifen.
In der realen Welt des dargestellten Lichtbogens bedeutet es, dass in jeder Lichtbogenstromhalbwelle zwischen den Außenleiter innerhalb einer Zeit von 0 bis 10 ms eine Lichtbogenleistung von 1000 kW bis 4000 kW umgesetzt wird. Dabei wird jeweils eine Plasma- und Gas-Säule mit einer Kern-Temperatur im Bereich von 10000 bis 20000 K impulsartig aufgebaut und einige Gramm Grundmaterial verflüssigt und verdampft. Verbunden mit diesem Vorgang ist eine Beschleunigung der Säulen durch die eigen- und fremdmagnetischen Kräfte mit einem gleichzeitigen Auswurf von festen, flüssigen und gasförmigen Partikeln des Grundmaterials aus dem Lichtbogenkanal mit einem inneren Druck von bis zu 3 bar.
Bild 28: Lichtbogenleistung der Teillichtbögen Leiter-Leiter und Gesamt-Lichtbogenleistung
In den Teilbilder Bild 28 sind die Einzel Lichtbogenleistungen Leiter-Leiter und die Addition zur Gesamtlichtbogenleistung des aktuellen Versuches dargestellt. Deutlich ist der oben beschriebene Verlauf der Teillichtbögen erkennbar. Auffällig sind die negativen Leistungsspitzen, die im Prinzip eine Blindleistung darstellen. Verfolgt man aber das (Video 5) Bild für Bild im Vergleich zu den Oszillogrammen ist erkennbar das in dem Zeitpunkt wo eine negative Leistungsspitze auftritt Kommutierungsvorgänge der Teillichtbögen zur geerdeten Masse des Test-Gehäuses und auch Kommutierungen der Teillichtbögen Leiter-Leiter zu einem anderen Außenleiter auftreten. Somit wird der Teillichtbogen von einer zusätzlichen Spannungsquelle gespeist, die durch die Phasenverschiebung der kommutierten Größen einen negativen Leistungsanteil darstellt. Messtechnisch ist dieses Problem sehr schwer nachweisbar, in späteren Versuchen soll versucht werden durch die Aufzeichnung der Spannungen und Ströme aller Leiter-Leiter- Leiter-Masse- und der Sternpunktgrößen eine detaillierte Darstellung zu erreichen. In der Darstellung der Gesamtlichtbogenleistung erscheint aber die tatsächliche Wirkleistung des Lichtbogenvorganges.
Aus den Oszillogrammen ist erkennbar welche elektrische Leistung in dem Lichtbogenvorgang umgesetzt wird und welche Lichtbogenenergie sich daraus über die Einwirkzeit ergibt. Eine Aussage welche Teil-Energie aus diesem Vorgang auf ein Flächenelement in einen bestimmten Abstand einwirkt ist aus diesen Größen nicht ermittelbar. Auch ist bei den vorliegenden stochastischen Lichtbogenvorgängen nicht eindeutig ermittelbar welche Energieanteile in den Schmelz- Verdampfungs- und Wärmeleitvorgängen umgesetzt werden. Ein Vergleich mit den Untersuchungen eines Schaltlichtbogens unter definierten Bedingungen ist für den offenen Niederspannungs-Lichtbogen nicht angebracht und würde zu falschen Ergebnissen führen. Eindeutig erkennbar ist ein hoher Anteil an freigesetzter Strahlung über den gesamten Spektralbereich. Diese Strahlung breitet sich kugelförmig von den Entstehungspunkten aus und ist Temperaturabhängig. Da durch die Instabilität der Teillichtbögen ein impulsförmiger Leistungsumsatz vorliegt, ist folglich auch mit einer impulsförmigen Strahlungsintensität als Abbild der Leistungsspitzen zu rechnen. Versuche diese Strahlungen zu messen scheiterten bisher an den schwierigen Umgebungsbedingungen eines Störlichtbogens und unter dem Umstand, dass ein hoher Anteil von Rauchgasen entsteht, die sich in sehr unterschiedlicher Richtung und Dichte mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegt. Berücksichtigt werden müssen auch zusätzliche exotherme Vorgänge in den Rauchgasen durch die hohe Temperatur und der Anreicherung des Gases mit sehr unterschiedlichen Partikeln in unterschiedlichem Aggregatzustand aus den Randzonen des Lichtbogens. Aus den Videos ist immer wieder zu entnehmen, dass auch nach der Stromunterbrechung sich stark leuchtende Gaswolken in erheblicher Entfernung von der Lichtbogenquelle bewegen (Bild 29)
Bild 29: Rauchgaswolke 42 ms nach Abschaltung des Stromes 10 kA bei einer Spannung von 726 V
Gut sichtbar sind in den Videos auch die sich mit hoher Geschwindigkeit bewegenden Plasmastrahlen auf den Schienen und an den Schienenenden. Verbunden sind die Plasmastrahlen durch sich sehr unterschiedlich ausbildenden Lichtbogenschleifen. Diese Lichtbogenschleifen sind aus physikalischer Sicht massebehaftete Gassäulen mit einer hohen Temperatur und einen inneren Druck, die sich mit einer gewissen Geschwindigkeit in unterschiedlichen Richtungen bewegen. Durch die Elektrodenanordnung und der damit verbundenen Gasströmung wird im Prinzip eine Hauptrichtung der Lichtbogenschleifen vorgegeben. Da sich die Plasmastrahlen durch die eigenmagnetischen Kräfte immer von der Energiequelle wegbewegen ergibt sich automatisch die Richtung in der axialen Verlängerung der Schienenanordnung mit einer gewissen, sehr stochastischen, Streubreite. Die Parameter sind stark von dem Elektrodenmaterial und allen Netzimpedanzen abhängig. Einhausungen der Schienenanordnung haben nur einen sehr geringen Einfluss auf diese Richtung. Ist der Abstand zu der geerdeten metallischen Einhausung der Schienenanordnung kleiner 10mal der Luftstrecke zwischen den Außenleitern können zusätzliche Leiter-Erde-Lichtbögen die Streubreite des austretenden heißen Gasimpulse vergrößern, die Richtung aber nicht wesentlich verändern.
Die Auswertung der Geschwindigkeit der einzelnen Lichtbogenschleifen in dem vorliegenden Versuch erreichen Werte im Bereich von 100 bis 500 km/h, wobei mit zunehmender Stromflussdauer sich die partiellen Geschwindigkeiten erhöhen. Ursache ist die Veränderung des Reibungs-Koeffizienten der umgebenen Luft durch die starke Erwärmung und Ionisierung des Lichtbogenraumes.
Bilder 30 und 31: Funkenflug und Rauchgasbildung bei realen Lichtbogenversuchen.
Neben den sich impulsförmig bewegenden Gassäulen werden zusätzlich feste und flüssige Partikel der Lichtbogenelektroden mit sehr unterschiedlicher Masse, Temperatur und Geschwindigkeit in den Lichtbogenbrennraum geschleudert. Im Bild 29 wird ein Test an einem aus Aluminiumguss bestehenden Hausanschlusskasten mit einem dreipoligen Kurzschlussstrom von 10 kA bei einer Bemessungsspannung von 400 V und einer Einwirkzeit von 100 ms gezeigt. Das Bild 30 entstand 1978 bei der Prüfung des isolierenden Anzuges für Arbeiten unter Spannung aus der DDR Zeit mit der dreipoligen IPH-Prüfanordnung, Position B mit 25 kA, 726 V, 0,5 s und einem Abstand von 50 cm. Die aus den Fotos und der Belichtungszeit der Kamera ermittelten Geschwindigkeiten der Partikel liegt im Bereich bis zu 180 km/s. Eine Aussage über Masse und Temperatur der Partikel ist keine detaillierte Aussage möglich. Beobachtet wurde jedoch mehrfach Schäden durch den Einschlag verbunden mit einem Einbrennen von flüssigen Partikel auf Fotoobjektiven und deren Schutzfilter im Bereich von ca. 8 m Entfernung zum Lichtbogen.
Betrachtet man zusammenfassend die Beanspruchung einer Fläche in einem Abstand von 30 oder 50 cm von der Lichtbogenquelle so ist festzustellen, dass neben einer intensiven breitbandigen Strahlung, eine sehr heiße Gaswolke verbunden mit impulsförmigen sich ausweitenden, druckbehafteten Lichtbogenschleifen und eine Vielzahl von flüssigen und festen Partikel mit hoher Beschleunigung auf diese Flächen auftreffen können. Additiv ergeben diese Elemente die Einwirkenergie des Lichtbogens auf diese definierte Fläche im definierten Abstand. Die große Problematik besteht in der Schwierigkeit eine logische Verbindung der Energie der Einzelelemente mit ihren sehr unterschiedlichen Wirkmechanismus und der tatsächlichen umgesetzten Lichtbogenenergie zu erhalten. Erschwert wird diese Situation noch durch das Vorhandensein von exothermen Vorgängen und der in Abhängigkeit des zu testenden Materials auftretenden pyroplastischen Verbrennungsprodukten. Sehr umfangreiche Untersuchungen der Arbeitsgruppe KSM [13] in den Jahren 1978 bis 1980 im IPH Berlin haben gezeigt das sehr sorgfältig zwischen der elektrischen Einwirkenergie, den pyroplastischen Komponenten, den fliegenden heißen Partikeln und der Speicherenergie der Prüfeinrichtung sowie besonders des Prüfobjektes unterschieden werden muss. Beachtet werden muss auch die nicht zu vernachlässigende Schallbeanspruchung, die im Bereich von 120 bis 140 dB liegt.
Die elektrische Energie wirkt eindeutig nur im Zeitbereich der Lichtbogenbrenndauer. Um diesen Anteil der thermischen Wirkung der Einwirkenergie auf eine bestimmte Fläche zu messen bedarf es mehrere auf der Fläche verteilte Messeinrichtungen die in der Lage sind auch die impulsförmigen Leistungsspitzen zu erfassen. Aus dem Bild 17 ist zu entnehmen, dass der Lichtbogenleistungsanstieg im Bereich von 500µs liegt, das heißt die Temperatur- und Druckmesseinrichtung muss im Frequenzbereich von 50 bis 100 kHz arbeiten können um die realen Vorgänge zu erfassen. Alle getestete Messeinrichtung auf der Basis von Thermoelementen haben sich als unbrauchbar erwiesen, da ihre Messzeitkonstanten zu groß waren. Auch die in den Normen VDE 0682 Teil 306-1-1und VDE 0682 Teil 306-1-2 verwendeten Kupferkalorimeter sind für die Messung der elektrischen Einwirkenergie ungeeignet, was bereits in [8] bereits näher erläutert wurde. Schon die Festlegung der Messzeit von 30 Sekunden bei einer Einwirkzeit des Lichtbogens von 0,5 Sekunden zeigt eindeutig, dass hier überwiegend die sekundären Anteile der Einwirkenergie durch Speicherung der Wärme in der Box gemessen werden und kein eindeutiger Bezug zur elektrischen Einwirkenergie hergestellt werden kann. Die in der Normen VDE 0682 Teil 306-1-1, Punkt 6.10 und VDE 0682 Teil 306-1-2,Punkt 6.6 Datenerfassung festgeschriebenen Abtastraten und Amplitudenfehler der Registriertechnik sind aus der Sicht der tatsächlich auftretenden elektrischen und thermischen Vorgänge absolut mangelhaft, teilweise auch technisch unsinnig (Messbereich 0-500°C, Genauigkeit ±0,75 °C) und führen zu den falschen Aussagen hinsichtlich der Verknüpfung von den Prüfwerten zu den realen elektrischen Vorgängen im Drehstromnetz und somit zu unrichtigen Bewertungen der tatsächlich auftretenden Einwirkenergie auf eine definierte Fläche.
Im Bild 7 und (Video 5) ist der Versuchsaufbau und Ablauf bei dem Test zur Erläuterung der oben beschriebenen elektrischen Vorgänge dargestellt. Im Versuch wurde gleichzeitig mit einem Kalorimeter gemäß VDE 0682 Teil 306 die Temperaturerhöhung gemessen und ein frischer Hühnerschenkel getestet.
Das Kalorimeter ergab eine Temperaturerhöhung von 7,8 K im Zeitbereich von 330 ms. Der Hühnerschenkel hatte ein Masseverlust von 13 % und auf der Frontseite war Haut und Fleisch ca. 2mm tief verbrannt. Eine exakte Zuordnung der Kalorimeter-Daten zur Stollkurve ist nicht möglich, da diese für einen Zeitbereich unter 1 Sekunde nicht definiert ist. Die 7,8 K würden aber nach VDE 0682 Teil 306-1-2 aber eine Einwirkenergie von 43 kJ/m² ergeben und somit im Prinzip kurz über den Bereich der Verbrennung 2. Grades der Stollkurve liegen, wenn man sie für den Bereich unterhalb 1s extrapoliert. Beide Ergebnisse, also gemessene Einwirkenergie und starke Verbrennung, sind nicht in Einklang zu bringen.
Bild 32: Versuchsaufbau zum Eignungstest der Kalorimeter
Zur Überprüfung der Eignung der Kalorimeter nach VDE 0682 Teil 306-1-1 und VDE 0682 Teil 306-1-2 wurden umfangreiche Test durchgeführt. Im Bild 32 wird der Versuchsaufbau zum Nachweis der Einwirkzeit des Lichtbogens auf die Kalorimeter gezeigt. Im (Video 10) wird der Ablauf eines Versuches widergegeben. Die Bilder 33 und 34 zeigen zwei Oszillogramme diese Versuche in unterschiedlicher Zeitauflösung in dem die Temperatur, Strom und Spannung zeitgleich mit einem Transienten-Recorder aufgezeichnet wurden. Sehr klar ist aus den Oszillogrammen die Einwirkzeit des Lichtbogens auf die Kalorimeter erkennbar. Sichtbar ist auch die Verzögerung des Messsignals durch die Messzeitkonstante
Bilder 33 und 34: Oszillogramme zum Video 9 mit der zeitgleichen Aufzeichnung der Temperatur der Kalorimeter und der geringfügige Temperaturanstieg nach der Stromunterbrechung.
Die Ergebnisse sind logisch, da die Gaswolke des Lichtbogens im Bereich vor der Platte eine Temperatur im Bereich bis ca. 1000 K hat und die Lichtbogenschleifen im Temperaturbereich von 2000 bis 2500 K liegen. Die Resttemperatur der Prüfanordnung bei der Stromunterbrechung liegt bei ca. 120 °C und klingt in ca. 20 Sekunden auf eine Temperatur < 50 °C ab. Somit ist die Temperatur-Abstrahlung gegenüber dem Lichtbogen gering.
Die nach VDE 0682 Teil 306-1-2 berechnete Einwirkenergie bei diesen Versuchen erreichen Werte im Bereich von 800 kJ/m² bis 1900 kJ/m². Sie können aber als nicht realistisch eingestuft werden, da die Streuung der Messwerte bei den Versuchen im Bereich von 15 bis 45 % lag. Aus den Videos ist eine Abhängigkeit der Messwertstreuung von der Anzahl der auftreffenden Plasmastrahlen erkennbar. Auch sind Abweichungen zwischen einem neuen und gebrauchten Sensor vorhanden. Die Art der verwendeten schwarzen Farbe und die Stärke des Aufstriches haben ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf das Messergebnis.
Im Vergleich dazu das (Video 11) mit einem Test mit der Box nach VDE 0682 Teil 306-1-2 ebenfalls mit 7 kA und einem Abstand von 30 cm. Die berechnete Einwirkenergie erreicht zum Zeitpunkt der Lichtbogenlöschung 92 kJ/m² und nach 24 s einen Wert von 395 kJ/m², also den Wert der Wärmestrahlung der Box! Ein praktischer Vergleich mit einem gleichen Testobjekt und jeweils 7 kA einpolig und 7 kA dreipolig zeigt das (Video 9).
Bemerkenswert ist eine Veröffentlichung der DGUV [16] über einen Forschungsbericht der BGETEM vom 13.01.2017 mit dem Titel „Energetische Verhältnisse bei Störlichtbögen in Drehstromsystemen und Gleichstromsystemen“. Seit den siebziger Jahren ist den Autoren dieses Beitrages bekannt, das bei der Bewag Berlin, der HEW Hamburg dem Eurotest Dortmund der RWE und dem IPH Berlin dreipolige Testanordnungen entwickelt und betrieben werden. In vielen Publikationen [10, 6,7,8,11,12] ist öffentlich dargestellt worden, das der einpolige Box-Test nicht den realen Bedingungen eines Drehstromlichtbogens in der Praxis entspricht und die Kalorimeter-Messung sehr fehlerhaft ist. Die BGETEM ist schriftlich vor der Veröffentlichung auf elementare Fehler in der jetzigen DGUV Information 203-077 hingewiesen worden. Im Januar 2017 im Rahmen eines Projektverzeichnisses zu veröffentlichen das nun unter anderem festgestellt wurde das:
„Im Vergleich zur zweipoligen Standardanordnung, die in der PSAgS-Prüfung nach IEC 61482-1-2 benutzt wird (Elektroden Al-Cu) sind die Lichtbogenenergien in der dreipoligen Anordnung um den Faktor 2,5…2,8 größer. Hinsichtlich der Einwirkenergie liegen die Faktoren zwischen 2 und 3; allerdings treten für Aluminiumelektroden noch höhere Faktoren auf. Für Anordnungen mit Aluminiumelektroden sollten in der Gefährdungsbeurteilung gesonderte Betrachtungen angestellt werden; die Erwartungswerte der Lichtbogenenergie sollten mit einem Faktor von 2 korrigiert werden.“ [16]
erscheint doch etwas verspätet zu sein. Wenn diese Erkenntnis nach Jahren nun auch die verantwortliche Berufsgenossenschaft erreicht hat, stellt sich die Frage, warum wird die DGUV Information 203-077 nicht sofort zurückgezogen. Die DGUV Information 203-077 soll den verantwortlichen Mitarbeitern eine Hilfe zur Ermittlung einer geeigneten PSA gegenüber den thermischen Gefahren eines Störlichtbogens sein. Mit der Feststellung das bei dem Test mit einer dreipoligen Box auf der Grundlage der einpoligen Box nach VDE 0682 Teil 306-1-2 der 2 bis 3fache Wert der Einwirkenergie auftritt (in der Realität wird der Wert noch höher liegen), sind alle Angaben und Rechenverfahren der DGUV Information 203-077 in Frage zu stellen. Auch die in [16] beschriebenen Anordnung für eine dreipolige Prüfbox stellt keine praxisbezogene Lösung dar. Die gewählten Elektrodenmaterialien sind unrealistisch und in der Praxis nicht vorhanden. Entweder wählt man Kupferschienen oder Aluminiumschienen um die Bedingungen im Netz zu realisieren. Auch ist für eine Drehstrom-Prüfeinrichtung keine Gipsbox notwendig, da der Lichtbogen nach den Gesetzen der Physik in Abhängigkeit der Elektrodenanordnung eine Wirkrichtung vorgibt. Mit der Gipsbox werden zusätzliche Verbrennungsprodukte in den Lichtbogenraum gebracht, die eine weitere Verfälschung der Ergebnisse zur Folge hat. Deutlich im (Video 8) erkennbar.
Den in [16] vorgestellten Ergebnissen hinsichtlich Lichtbogenstabilität, der Stromabsenkung und der hergeleiteten Faktoren muss grundsätzlich widersprochen werden. Aus hunderten durchgeführten Lichtbogenversuchen und Lichtbogenprüfungen mit den unterschiedlichsten Materialien und Abmessungen an vier verschiedenen Netzeinspeisepunkten eines akkreditierten Prüffeldes und Aufzeichnung der Messsignale mit hochauflösenden Transienten-Recorder ist diese Ergebnis nicht zu bestätigen. Ein Niederspannungs-Drehstromlichtbogen ist ein instabiler Lichtbogen, der von elektrischer Halbwelle zu Halbwelle Amplitude, Phasenlage und Richtung ändert. Ferner sind Aussagen aus Versuchen im Bereich bis 8,3 kA bei 400 V für den gesamten Niederspannungsbereich nicht zulässig, da nachweislich keine Linearität der Gefährdung mit steigender Kurzschlussstromstärke besteht. Auch ist 400 V nur ein Teilbereich der Niederspannungsebene und es sind alle Spannungsebenen bis 690 V zu betrachten, da besonders im Bereich der erneuerbaren Energie bevorzugt die 690-V-Ebene genutzt wird und unter den dort vorhandenen Bedingungen der Personenschutz gewährleistet werden muss. Von einer Weiterführung der Berechnungen gemäß DGUV Information 203-077 auch für die dreipolige Gipsbox und gleichzeitig eine Umrechnung der Werte von der Einpoligen ist dringend abzuraten. Die Ermittlung der Einwirkenergie des Lichtbogens nach VDE 0682 Teil 306-1-2 ist fehlerhaft, da sowohl Kalorimeter und geforderte Messeinrichtung und Messzeit ungeeignet sind und nicht dem Stand der Technik und den Vorgängen des realen Drehstromlichtbogen entsprechen.
Wichtig ist auch ein Hinweis auf den Entwurf der VDE 0682 Teil 306-1-1 vom Juni 2017 (Einspruchsfrist bis12.07.2017!!!), wo unter dem Punkt 6.6 eine neue, gestufte Anordnung der Prüftorso und unter dem Punkt 11.4.2 für die Erfassung der Wärmeübertragung der Schutzkleidung weiße Baumwollunterwäsche vorgeschrieben wird. Ein Standard, der seit 1978 im IPH Berlin für die ganzheitliche Prüfung praktiziert wird. Diese Entwicklung deutet an, das auch im Rahmen der amerikanischen Normentwicklung die Kalorimetermessung, trotz intensiven mathematischen Statistikaufwand, nicht als praktisches Allheilmittel angesehen wird.
VII. Zusammenfassung
Der derzeitige Stand der Normen, wie er durch die VDE 0682 Teil 306-1-1 und VDE 0682 Teil 306-1-2 für den Nachweis der Festigkeit von persönlichen Schutzausrüstungen (PSA) repräsentiert wird, ist für die Bedingungen des realen Niederspannungs-Drehstromlichtbogens ungeeignet. Die Ursachen liegen einmal in der einpoligen Prüfanordnung und in den Prüfparametern. Eine einpolige Prüfung der PSA mit 4 bzw. 7 kA, 0,5 s Einwirkzeit bei einer Spannung von 400 V oder der einpoligen Prüfung mit 8 kA, variable Zeiten und einer Spannung von 3000 V ist aus rein physikalischen Gründen für Drehstromnetze im Bereich von 400 bis 690 V und Kurzschlussströmen bis zu 60 kA ungeeignet, da bei den eipoligen Prüfungen nur die thermische Wirkung beurteilt wird und dies mit einer ungeeigneten Mess-und Registriertechnik erfasst wird. Aus umfangreichen Untersuchungen mit realen Drehstromanordnungen ist aber seit vielen Jahren bekannt, dass ab Kurzschlussströmen von ca. 5 kA neben der rein thermischen Komponente eine intensive heiße und hochbeschleunigte Partikelbeanspruchung und sehr heiße gerichtete Druckimpulse und auf die PSA wirken, die ab einem Kurzschlussstrom von ca. 15 kA die Standfestig einer Normalperson überschreiten. Eine rechnerische Übertragung der einpolig ermittelten Einwirkenergien auf Drehstromwerte ist unzulässig und falsch, da besonders die mit starker stochastischer Streuung auftretenden heißen energiereichen Druckimpulse eine erhebliche Zerstörungskraft besitzen und das Gesamtsystem nichtlinear gestalten.
Für die Weiterentwicklung von zuverlässigen Prüfanordnungen zum Nachweis der PSA-Festigkeit steht im Vordergrund die Entwicklung einer eichbaren, im Umfeld des Lichtbogens einsetzbare Kalorimeter-Messtechnik mit einem Frequenzbereich von > 100 kHz und die medizinische Klärung der Verträglichkeit der kurzfristigen intensiven Strahlung und Hitzeeinwirkung auf die menschliche Haut.
Die Prüfungen sollten grundsätzlich dreipolig in einem akkreditierten Prüffeld ganzheitlich, also immer volle Ausrüstung bestehend aus Helm mit Visier, vollständige Kleidung und Handschuhe, durchgeführt werden um die gegenseitigen pyroplastischen Wirkungen der einzelnen Materialien zu erfassen. Da es keine linearen Beziehungen von Einwirkenergie und Kurzschlussstromstärke gibt, sollte immer eine Kennlinie von Kurzschlussstrom und Einwirkzeit für jede ganzheitliche Ausrüstung ermittelt werden.
Berlin, den 12. Oktober 2017
Literatur:
[1] Rieder / Plasma und Lichtbogen / Vieweg & Sohn
[2] Amft und Berger / Elektrische Entladung in Natur und Technik Teil 1 bis 3 / www.lulu.com
[3] Finke / Auswirkungen von Störlichtbögen auf Kunststoffwände in Niederspannungs-Schalt-
anlagen / Dissertation Technische Universität Darmstadt / SHAKER Verlag
[4] Koettnitz / Winkler/Weßnigk / Grundlagen elektrischer Betriebsvorgänge in
Elektroenergiesysteme / VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie Leipzig
[5] Vogler, 2. Manuskript EP 6-1981
[6] Vogler, Vortrag 48 IWK Ilmenau 2003;
[7] Vogler, Beitrag Elektropraktiker 12/2003
[8] Vogler, IBV Gutachten 092-09
[9] Schau / Halinka / Winkler
[10] Vogler, Beitrag ICOLIM 2002
[11] Vogler, Beitrag ICOLIM 2006
[12] Borneburg, Walter, Wachholz, Vogler, Eichinger; Beitrag ICOLIM 2008
[13] IPH Prüfbericht 79-N-183
[14] VDE 0682 Teil 306-1-1
[15] VDE 0682 Teil 306-1-2
[16] http://www.dguv.de/ifa/forschung/projektverzeichnis/bgetem042.jsp
Die kursiv gekennzeichneten Literaturstellen sind unter Beiträge diese Internetseite zu finden.